Am 12. Februar 2023 wurde die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen der deutschen Hauptstadt vom 26. September 2021 wiederholt. Dies war die zwingende Folge des Urteils 21/1541 des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin vom 16. November 2022. Das Gericht hatte festgestellt, dass es am Wahltag unter anderem zu folgenden Unregelmäßigkeiten gekommen war:

  • Viele Wahllokale hatten nach einigen Stunden keinen vollständigen Satz von Stimmzetteln mehr. Die Lieferung weiterer Stimmzettel gelang nicht rechtzeitig, was zu Unterbrechungen des Wahlvorgangs führte.
  • In mehreren Wahllokalen wurden nicht alle Wahlunterlagen an die Wählenden ausgehändigt. Teilweise erhielten sie keine Stimmzettel für die Erststimme für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, teilweise unterblieb die Aushändigung der Stimmzettel für die Zweitstimme.
  • Die Wahlhandlung wurde in einigen Wahllokalen erst nach 18 Uhr beendet, Medien berichteten aber bereits ab 18 Uhr über den voraussichtlichen Ausgang der Wahlen.
  • In den Wahlkreisverbänden Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf wurden für die Wahl der Zweitstimme zur Wahl des Abgeordnetenhauses teilweise Stimmzettel ausgegeben, die für den jeweils anderen Wahlkreisverband vorgesehen waren.
  • Da es in einigen Wahlkreisverbänden nicht genügend Stimmzettel gab, wurden Originalstimmzettel als Kopiervorlagen verwendet und Kopien zum Wählen ausgegeben.

Einspruch gegen die ursprüngliche Wahl vom 26.09.2021, die das Gericht mit seinem Urteil für ungültig erklärt hat, hatten die Landeswahlleitung von Berlin die Senatsverwaltung für Inneres, Digitales und Sport, und die als „Die PARTEI“ bekannte Kleinpartei sowie der Berliner Landesverband der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD).

Dass es aber überhaupt zu diesem Urteil kommen konnte, ist in nicht unerheblichem Maße der sich selbst als Meinungsmagazin bezeichnenden Publikation „Tichys Einblick“ zu verdanken. Nach einer Anfrage des ehemaligen Abgeordneten Marcel Luthe hatte der Herausgeber Roland Tichy ein Team aus Autoren zur Auswertung der Protokolle der Chaos-Wahl zur Verfügung gestellt. Bereits im Mai 2022 veröffentlichte Tichy die ersten Erkenntnisse, die sich aus diesen Protokollen ergaben2. In den anschließenden Monaten erfolgte eine komplette Aufarbeitung. Das konnte in der Öffentlichkeit nicht länger ignoriert werden und führte in letzter Konsequenz zur Aufhebung der Wahl. Eine journalistische Glanzleistung, wie sie nicht alle Tage vorkommt. Bedauerlich jedoch, dass sie kaum Anerkennung erfährt. Tichy wird in den Berichten über den in der Bundesrepublik bislang einmaligen Vorgang einer Wahlwiederholung ohne Neubeginn einer Legislaturperiode nur sehr selten erwähnt. Stattdessen nannte der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ vom 6. Juni 2023 Tichy als Beispiel für Leute „die, in der rechten Bubble irgendwas erfinden“3. Schade, dass der mutige Einsatz von Tichy und seinen Leuten für den Erhalt von Rechtsstaat und Demokratie nicht besser gewürdigt wird. Zum Trost sei ihnen gesagt: Viel Feind, viel Ehr‘.

Florian Füllbier ist der Autor, der hier aufgelisteten Bücher

Quellen

1 Der Landeswahlleiter für Berlin (Stand: 30.07.2023): Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021: https://www.berlin.de/wahlen/wahlen/wahlen-2023/

2 Mannhart, Max; Gallina, Marco (2022): „Wahlen in Berlin ungültig? Dieses Protokoll zeigt das ganze Chaos“: https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/wahlen-in-berlin-ungueltig-dieses-protokoll-zeigt-das-ganze-chaos/ (Stand: 30.07.2023)

3 „Markus Lanz vom 6. Juni 2023“ (Stand: 30.07.2023): https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-6-juni-2023-100.html